Hessischer Bildungsserver / Kompetenzorientierter Mathematikunterricht Primarbereich

Was ist Denken?

Denken ist die den menschlichen Erkenntnisprozess wesentlich kennzeichnende, aktive, verstandesmäßige und ordnungstiftende Verarbeitung gegebener Informationen, mit dem Ziel, Bedeutungen zu verstehen und Sinnzusammenhänge offen zu legen. Insofern die Berücksichtigung möglichst aller relevanten Informationen für ein adäquates Bedeutungs- und Sinnverstehen notwendig ist, ist neben der Intelligenz auch die Wahrnehmung eine für die Qualität des Denkens entscheidende Voraussetzung.
Zu den Voraussetzungen zählt zugleich auch das wichtigste Mittel des Denkens: die Sprache, mit deren Hilfe Gesetzmäßigkeiten formuliert und Begriffe gebildet werden können, die den Prozess des Denkens nachvollziehbar und seine logische Struktur und Folgerichtigkeit überprüfbar machen. Sprache und schriftliches Protokoll ermöglichen auch in komplexen Fragen an das bereits Gedachte, an die Erfahrung des Denkens anzuknüpfen. Diese Methode des aus der (immer wieder überprüften) Erfahrung schöpfenden und an sie anknüpfenden Denkens ist eine der Grundlagen der Wissenschaft.

Entscheidende Bedeutung kommt dem Denken für das Problemlösen zu. Im Hinblick darauf ist Denken ein heuristischer Prozess, der sich von einer unvollständigen Ausgangs-information mit Hilfe logischer Analyse, analogie- und begriffsbildenden Schließens sowie des Rückgriffs auf gemachte Erfahrungen über die Einsicht in die Struktur des Problems und seiner Teilprobleme in Richtung auf die Problemlösung vollzieht.


Bei dem auf Problemlösen gerichteten Denken können folgende Phasen unterschieden werden:
1. die Präparation (lateinisch für Vorbereitung, hierzu gehören die Identifizierung, d. h. das Erkennen des Problems, und die Differenzierung, d. h. die systematische Aufgliederung seiner Teilstrukturen);
2. eine Inkubation genannte Ruhephase;
3. die Illumination (lateinisch für „Erleuchtung", das sog. Aha-Erlebnis);
4. die Evaluation (lateinisch für Auswertung);
5. die Übertragung und Ausführung.
In der Denkforschung wird zwischen konvergentem und divergentem Denken unterschieden. Ergebnis des divergenten Denkens ist eine Vielfalt verschiedenartiger Lösungen, während das konvergente Denken die eine, richtige Lösung hervorbringt (vgl. Microsoft Encarta Enzyklopädie 2000).

In der (mathematischen) Logik wird beim schlussfolgernden Denken unterschieden:
Deduktives Schließen - vom Allgemeinen auf das Besondere. Aus Vorgegebenem folgt zwingend eine Schlussfolgerung. Deduktion ist damit zwar immer richtig und sicher, bringt aber keine neuen Erkenntnisse. Der reinen Logik steht dabei oft die Umgangssprache („oder"), Nicht-Beachtung von Umkehrschlüssen oder der „Überzeugungseffekt" (positive oder negative Bewertung der Inhalte) im Weg:
Induktives Schließen - vom Besonderen auf das Allgemeine. Unsicher, aber erkenntnisgewinnend (Hypothesenbildung).
Analoges Schließen - von der Übereinstimmung in bestimmten Punkten wird auf Entsprechung/ Ähnlichkeit auch in anderen Punkten bzw. auf die Gleichheit von Verhältnissen geschlossen. Der Schluss ist damit eher unsicher, birgt aber innovatives Denken. „Dem analogen Denken wird in der kognitiven Psychologie große Bedeutung zugemessen, da es in den verschiedensten Bereichen eine zentrale Rolle spielt, z. B. für das Lernen an Beispielen, für effektives Problemlösen und kreatives Denken; nicht zuletzt werden wichtige wissenschaftliche Entdeckungen zurückgeführt auf ‚Denken in Analogien‘ [...]" (Oerter/ Dreher, S. 600). Das Verständnis von relationalen Ähnlichkeiten gehört dabei zu den Grundkategorien menschlicher Erkenntnisfähigkeit, die sich mit zunehmendem Alter immer besser ausbildet; Voraussetzungen dafür sind die Fähigkeit zur Generalisierung, Reihung, Klasseninklusion und das Konstanzverständnis.

 

Wie der Kontext die Logik stört:


- Die Verwendung des Begriffs ‚alle' -
- Aus mehr wird weniger -

In einer Untersuchung von Donaldson und Lloyd (1974, zitiert nach Donaldson, 1982), die kindliches Denken bei minimalem Einfluss von Erwachsenen zu erfassen suchte, sollten Kinder einem großen Bären helfen, indem sie die Richtigkeit seiner Aussagen beurteilten. Das Material waren eine Reihe von vier Garagen und einige Spielzeugautos, die in die Garagen gestellt werden sollten; zum einen (a) drei Autos, zum anderen (b) fünf. Es waren folgende Aussagen zu beurteilen:


Alle Autos sind in den Garagen.
In allen Garagen sind Autos.


Unter der Bedingung (a) ist die erste Aussage richtig, nicht aber die zweite, da eine Garage leer bleibt; unter Bedingung (b) ist es umgekehrt, da ein Auto neben den Garagen steht. Als interessanter Befund ergab sich, dass einige Kinder die Aussagen nach folgendem Muster beurteilten: Gab es nur drei Autos, so waren beide Aussagen falsch; bei fünf Autos dagegen hielten sie beide Aussagen für richtig. Dass diese Kinder die Bedeutung des Begriffs ‚alle' nicht verstanden, konnte ausgeschlossen werden; sie hatten z. B. keine Schwierigkeiten, zu beurteilen, ob alle Garagentüren geschlossen seien.
Offensichtlich verbinden die Kinder ‚Garage und Auto' unter dem Konzept ‚Voll-sein'. Sie widersprachen dem Bären, wenn er bei drei Autos behauptete: „Alle Autos sind in den Garagen" mit dem Hinweis darauf, dass eine Garage leer sei. Man kann annehmen, dass für diese Kinder eine leere Garage etwas anderes ist als ein Auto ohne Garage, d.h. ihre Beurteilungskategorie ist ‚Garage + Auto', nicht aber ‚Auto + Garage'.
Dies wurde in einem anderen Versuch von Donaldson und McGarrigle (1974) bestätigt. Vor den Kindern standen zwei Reihen mit Spielzeugautos; in der oberen waren es fünf, in der unteren vier Autos. Die Frage, in welcher Reihe mehr/ weniger Autos seien, wurde von den Kindern sofort richtig beantwortet. Nun wurden offene Garagen über die Autos gestellt - die Autos blieben also sichtbar; in der oberen Reihe sechs Garagen (eine blieb also sichtbar leer), in der unteren Reihe drei (ein Auto stand also neben den Garagen). Anschließend wurde die Frage wiederholt: In welcher Reihe sind es mehr/ weniger Autos? Einige Kinder sagten nun, dass in der oberen Reihe weniger Autos seien als in der unteren. Die dazugestellten Garagen hatten offensichtlich die Beurteilungskategorie verändert: die unteren Garagen waren alle voll, die oberen nicht, d.h. unter dem ‚Voll-sein'-Aspekt waren es also weniger (nach Donaldson, 1982, S. 72f.).