Hessischer Bildungsserver / Schriftspracherwerb

Fallbeispiel Domenik

Diagnostik ist Hypothesenbildung, die ständig an der Realität überprüft werden muss.

Domenik zeigt schon in den ersten Wochen ein sicheres Gespür für Laute. Er erfasst die Phonem-Graphem-Struktur sehr schnell und kann schon bald Wörter lautgetreu schreiben.

Die Hypothese, dass Domenik auch das Lesen schnell erlernen wird, bestätigt sich jedoch nicht. Nach anfänglich ebenfalls erfolgreichen Versuchen, Wörter phonologisch rekodierend zu lesen, stagniert die Leseentwicklung. Domenik verlegt sich zusehends auf das Erraten von Wörtern - mit einer relativ geringen Trefferquote.

Neue Hypothese gehen in die Richtung, dass Domenik entweder das phonologische Rekodieren nicht verstanden hat oder aus irgendeinem Grund nur den direkten Zugang zum Wort wählt.

Gespräche und zusätzliche Übungen helfen zunächst nicht weiter. Erst ein gemeinsames Gespräch mit Domenik und seinen Eltern ergibt die Lösung. Domenik hat seinen Vater befragt, warum er so schnell in der Zeitung lesen kann. Dieser hat ihm geantwortet: Ich schlag die Zeitung auf, seh´ das Wort und schon weiß ich, was da steht.

Diese Strategie hat sich Domenik als einzige Strategie zu eigen gemacht und war fortan bemüht, alle Wörter mit einem Blick zu erfassen. In diesem frühen Stadium gelang ihm dies jedoch nur bei sehr einfachen, häufig vorkommenden Wörtern. Nachdem mit Domenik beide Zugriffsweisen - phonologisches Rekodieren und direkter Zugriff - als unterschiedliche Strategien für Leseanfänger, die durchaus nebeneinander existieren dürfen, erprobt wurden, machte seine Lesekompetenz - bezogen auf beide Zugriffweisen - sehr schnell Fortschritte.


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